Geschichten sind überall! Nachdem Joseph Kennedy sen. am Ende langer Auseinandersetzungen zum Botschafter in Großbritannien ernannt wurde, erklärte er seinem Sohn Robert immer wieder und wieder: „Die Dinge geschehen nicht einfach so, sie werden durch Öffentlichkeitsarbeit erschaffen.“
Was auch immer die Medien an Themen aufgreifen: Die Basis bildet eine Geschichte. Der US-Anwalt Gerry Spence wurde berühmt, weil er erfolgreich die Rechte von Karen Silkwood und Randy Weaver verteidigte, und weil er Nachrichtenagenturen während des Prozesses von O.J. Simpson mit Expertengutachten versorgte. In seinem Buch „Argumentiere und gewinne“ stellte er fest, dass“ jeder Diskussion, ob vor Gericht oder anderswo, ob am Esstisch oder während einer Kaffeepause, immer eine Geschichte zugrunde liegt“. Dave Ostrander, Kolumnist der Fachzeitschrift „Pizza Today“, stellte unlängst fest, dass die Speisekarte eines Restaurants nichts anderes ist als eine beliebige „Preisliste“, sofern darauf nicht auch die Geschichte des Restaurants erzählt wird. Damit würde „ein fantastisches Marketingmittel vertan“. Es muss also irgendetwas geben, was das Geschichtenerzählen mit vielen Bereichen der Wirtschaft und des täglichen Lebens verbindet.
Nun, zunächst einmal ist das Erzählen von Geschichten seit Anbeginn der Zeit die grundlegendste Form der menschlichen Kommunikation. Geschichten erzählen und ihnen zuhören zu können sind Eigenschaften, die uns ganz wesentlich von anderen Spezies unterscheiden. Denken Sie an Ihre eigenen Vorfahren. Was wissen Sie über sie? Kennen Sie das Jahr des Schulabschlusses Ihrer Großmutter? Oder wissen Sie, in welchem Jahr Ihre Großeltern geheiratet haben? Wahrscheinlich wissen Sie es nicht. Woran Sie sich aber erinnern können, sind ganz besondere Details aus dem Leben Ihrer Vorfahren. Vielleicht ist es eine Fahrt mit dem Planwagen durch die amerikanische Prärie, oder es ist die Art und Weise, wie sparsam Ihre Großeltern zur Zeit der Wirtschaftskrise von 1929 leben mussten.
Was auch immer Ereignisse zu einem Teil Ihres Gedächtnisses werden lässt, mit höchster Wahrscheinlichkeit liegt der Erinnerung eine beeindruckende Geschichte zugrunde. Stellen Sie sich vor, zwei unterschiedliche Spendenwerber sprechen Sie darauf an, sich für ein und dieselbe Kinderherzklinik zu engagieren. Der eine Spendenwerber präsentiert Ihnen Statistiken über den Prozentsatz an Kindern, die mit einem Herzfehler geboren werden, über deren durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Klinik, über die hohen Kosten, die damit für die Familien verbunden sind, über Verkehrstote und so weiter. Der andere Spendenwerber berichtet Ihnen von einer Mutter, die einen Anruf aus der Schule ihres Kindes bekam und gebeten wurde, sich in der Notaufnahme des Krankenhauses einzufinden. Er erzählt: „Als die Mutter in der Klinik ankam, erklärte ihr der Arzt, dass ihr Sohn gerade mit dem Hubschrauber in ein weiter entferntes Krankenhaus gebracht würde, wo versucht werden soll, durch eine Operation am offenen Herzen sein Leben zu retten, denn gerade sei ein bislang unbekannter Herzfehler bei ihm entdeckt worden.“ Was würde Sie wohl mehr bewegen? Was würde Sie so sehr überzeugen, dass Sie zu einer Spende bereit wären?
Wir Menschen wollen gar nicht alle Einzelheiten und alle Zahlen wissen. Als Menschen werden wir von Emotionen beherrscht.
Lesen Sie weiter im zweiten Teil von „Die Kunst des Geschichtenerzählens“
Aus dem Englischen übersetzt. Alle Rechte liegen bei der The vital art of storytelling